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Die dritte ICSI

Irgendwie ging nach der Fehlgeburt das Leben viel zu schnell wieder normal weiter. Meine Welt war eine völlig andere, als davor. Ich hatte mein Kind verloren, für das ich so hart gekämpft hatte. Ich hatte es schon vom allerersten Blick auf den positiven Schwangerschaftstest an so, so sehr geliebt, aber es ist trotzdem gegangen. Für mich war das weltbewegend. Für meinen Mann war es nur schade, aber nicht weiter tragisch. Er sagte immer Dinge wie "Wir haben doch auch zu dritt ein sehr schönes Leben." Offensichtlich war sein Kinderwunsch nicht ansatzweise so groß, wie meiner. Und für ihn hatte diese kurze Schwangerschaft noch gar nichts bedeutet, das Kind war ja noch nicht da. Deshalb stellte es für ihn auch keinen wirklichen Verlust dar. Trotz allem hat er alles getan, um mich zu trösten.

Meine Schwester war natürlich eine der Ersten, die eingeweiht wurde. Sie kam mich am nächsten Tag mit ihrer Tochter besuchen, um mir beizustehen. Aber wie es nun mal so war, war ihre Tochter an dem Tag am kränkeln und so war meine Fehlgeburt sehr schnell in den Hintergrund gerückt und wir überlegten nur noch, ob meine Nichte zum Arzt musste, und wie wir das logistisch am besten machen würden. Oh, dachte ich, dann geht der Alltag jetzt wohl weiter. Von meinem Gefühl her hätte ich mich am liebsten mindestens zwei Wochen in meinem Schlafzimmer eingeschlossen und den ganzen Kummer rausgeheult. Diese Option hatte ich leider nicht, da ich ja schon ein Kind hatte, das mich brauchte. Ich musste also funktionieren und weitermachen. Deshalb habe ich mir keine Zeit genommen, so wirklich richtig zu trauern.

Die Kinderwunschsituation sah so aus: Die Ärztin sagte, es liege bei mir, wann wir den nächsten Versuch starten. Im Internet hatte ich häufig gelesen, dass Frauen in nächsten oder übernächsten Zyklus nach einer Fehlgeburt schwanger geworden waren, weil der Körper hormonell noch so auf Schwangerschaft eingestellt ist, das es dann besser klappt. Dadurch fühlte ich mich wieder einmal unter Druck gesetzt. Außerdem hatten wir noch einen voll-bezahlten Versuch von der Krankenkasse übrig, der allerdings nur noch wenige Monate gültig war. Danach hätten wir neu beantragen müssen und die Kasse hatte uns schon informiert, dass sie ihre Richtlinien geändert hatte und künftig keine 100% mehr zahlen würde. Also war auch finanziell gesehen ein gewisser Druck da. Aber hauptsächlich wollte ich unbedingt weitermachen. Ich war extrem ungeduldig. Obwohl ich insgeheim genau wusste, dass es keine Aussicht auf Erfolg hatte, in der Verfassung, in der ich mich befand. Mein Mindset war nicht positiv und es fühlte sich nicht richtig an. Trotzdem entschied ich mich, es durchzuziehen und begann nie nächste Stimulation.

Während der Spritzerei war ich endlos genervt von der ganzen Prozedur und ich war mir absolut sicher, dass dies das allerletzte Mal sein würde, dass ich meinen Körper da antun würde. Völlig egal, welches Ergebnis dabei rauskam. Ich erzählte auch meiner Kinderwunsch-Ärztin, dass dies definitiv mein letzter Versuch sei, damit sie ihr bestmögliches gab. Sie versuchte mich umzustimmen, weil ich doch so jung war und es irgendwann schon klappen würde. Aber diese Entscheidung war zu meinem Selbstschutz gefallen und vor allem zum Wohl des kleinen Wunders, das ich schon zu Hause hatte. Mein Sohn hatte es nicht verdient, dass seine Mama die ganze Zeit auf ein Kind fokussiert war, dass es gar nicht gab, und ihn und seine Bedürfnisse deswegen aus den Augen verlor. Ich war durch die Hormone gereizt, hatte Stimmungsschwankungen und war ungeduldig. Das hatte mein Kind nicht verdient und deswegen musste ich mir eine Grenze setzen. Der finanzielle Aspekt, dass wir jeden weiteren Versuch aus eigener Tasche zahlen mussten, war nebensächlich aber natürlich auch da. Somit war die Entscheidung gefallen: Es würde der letzte Versuch sein. Punkt.

Die Stimulation verlief vielversprechend. Im Ultraschall sah es nach einer ordentlichen Ausbeute aus und die brauchten wir auch, denn unsere Befruchtungsrate der letzten Male lag nur um die 30%. Ich war am Boden zerstört, als man mir nach der Punktion sagte, dass es nur 11 Eizellen waren. Das wäre ein sehr gutes Ergebnis gewesen, wenn wir frisches Sperma hätten nutzen können. Da wir aber auf eingefrorenes TESE-Material von meinem Mann zurückgreifen mussten, sah ich schon alle Felle davonschwimmen. Es war niederschmetternd zu glauben, dass unser letzter Versuch gescheitert war. Am nächsten Tag konnte ich im Labor anrufen, um die Befruchtungsergebnisse zu erfahren. Von meinen 11 Eizellen waren 10 Stück reif gewesen und es hatten sich sage und schreibe 9 davon befruchten lassen! Das war unglaublich! Man fror direkt 6 Stück ein, so wie damals beim allerersten Mal, und kultivierte 3 weiter. Davon wurden mir ein paar Tage später 2 eingesetzt, die aber wieder nicht besonders gut entwickelt waren, was für mich im ersten Moment wieder bedeutete, dass es nicht klappen konnte. Aber ich überredetet mich selbst, positiv zu sein. Wie ein Mantra sagte ich immer wieder zu mir selbst, dass ich genug Energie für uns alle hätte und die Wärme und Geborgenheit in meinem Bauch den Kleinen schon helfen würde, sich richtig zu entwickeln. Im Laufe der Warteschleife hatte ich mich dann davon überzeugt, dass es geklappt haben musste, denn auch von außen sagten mir Leute, ich würde so strahlen, ob ich wohl schwanger wäre? Dann bekam ich aber regelartige Bauchschmerzen: Zu spät für Einnistungsschmerzen, zu früh für Periodenschmerzen. Das war für mich eigentlich das eindeutige Signal, dass es wieder missglückt war. Und genauso war es dann auch. Mein Heimtest war negativ, der Bluttest in der Klinik auch. Aber die Reise war noch immer nicht vorbei, denn wir hatten ja wieder mal 6 Embryonen eingefroren. Um diese nicht zu vergeuden schlug die Ärztin mir vor, dass wir weitere Diagnostik machen könnten. Zum Beispiel eine Biopsie meiner Gebärmutterschleimhaut. Wenn das wirklich sinnvoll wäre, warum hat sie das dann nicht auf den Tisch gebracht, als ich angekündigt hatte, dass es mein letzter Versuch sein würde? Mir drängt sich der Verdacht auf, dass man da möglicherweise noch gerne etwas mehr Geld mit mir verdienen möchte, bevor ich endgültig weg sein würde. Aber das sind natürlich nur Spekulationen. Ich würde diese Untersuchungen nicht machen lassen, denn ich bin ja zweimal schwanger geworden. Also denke ich nicht, dass da wirklich etwas mit meiner Gebärmutter nicht stimmt. Aber mir wurde klar, dass ich Zeit brauche, um sehr vieles in meinem Leben zu überdenken. 

Was genau das alles war, gibt es unter der Kategorie Reise 2.1 zu lesen.

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