· 

Die (zweite) erste ICSI

Wir hatten es nun trotz allen Bedenken in Angriff genommen und einen neuen Antrag bei der Krankenkasse gestellt. Wir bekamen wie beim ersten Mal drei Versuche bewilligt, die auch zu 100% (ausgenommen Kryokonservierungen und andere "Sonderleistungen", wie z.B. Blastozystenkulturen) bezahlt werden sollten. So weit, so gut. Leider fühlte ich mich ständig unter Zeitdruck. Heute weiß ich, dass das völlig falsch war, so zu denken. Aber so war es nun mal. Ich muss ein bisschen ausholen, um das zu erklären:

Ich war noch in Elternzeit mit meinem ersten Sohn (ich hatte eineinhalb Jahre beantragt), als ich wieder in die Kinderwunschklinik ging. Wie ich in einem früheren Blog aus "Reise 1" schon erwähnt habe, war ich Flugbegleiterin und somit sofort im Beschäftigungsverbot, sobald ich nachweislich schwanger war. Mein perfekter Plan sah vor, gegen Ende der Elternzeit wieder schwanger zu werden, um eine "große" Babypause zu machen, und danach wieder durchzustarten, anstatt kurz wieder arbeiten zu gehen, bevor ich wieder gehe. Dieser naive Plan hat mich total unter Druck gesetzt, was natürlich die Erfolgsaussichten nicht gerade erhöhte. Was für unnötige Sorgen ich mir damals gemacht habe! 

In der Fliegerei muss man eine zweiwöchige Refresher-Schulung machen, wenn man aus der Elternzeit zurückkehrt. Für mich wäre es Anfang August 2019 so weit gewesen, aber wie es so ist, wird im Sommer das ganze Personal auf der Strecke gebraucht und deshalb konnte weder im August, noch im September geschult werden. Eigentlich sollte ich dann also im Oktober zurückkehren, aber dann fiel auf, dass mir noch Resturlaub zustand, den man mir unmittelbar gewähren musste, weshalb ich dann den ganzen Oktober im Urlaub war. Im November machte ich dann schon die erste Woche der Schulung mit. Zu der Zeit befand ich mich gerade mitten in der Kinderwunschbehandlung. Da mir nach dieser einen Woche schon wieder Urlaub zugewiesen worden war, bevor ich im Dezember die zweite Woche absolvieren sollte, wäre es genau hingekommen, dass ich nicht hätten fliegen müssen, wenn diese ICSI geglückt wäre. Diesen Gedanken hatte ich irgendwie immer im Kopf. Eine denkbar schlechte Voraussetzung für ein solches Vorhaben.

Generell habe ich diese ICSI nicht gut weggesteckt. Ich hatte auch überhaupt nicht dieses optimistische, positive Gefühl, dass ich bei der allerersten ICSI hatte. Die Nebenwirkungen der Stimulation machten mir sehr zu schaffen: der Druck im Bauch war nahezu unerträglich und erinnerte mich bei absolut jeder kleinen Bewegung an meine Situation. Keine Chance auf Ablenkung. Ich war außerdem sehr erschöpft und dauernd müde. Die Betreuung in der Klinik empfand ich auch wieder als ziemlich enttäuschend, auch wenn sie diesmal nichts dafür konnten: Fast alles Personal war krank und zwei Schwestern mussten allein den ganzen Laden schmeißen. Ans Telefon ging dort wegen Überlastung gar keiner mehr, sodass es auch unmöglich war, telefonisch Rückfragen zu stellen. Aber wieder mal waren die OP-Schwestern und Anästhesisten am Punktions-Tag total lieb und machten vieles wieder wett. 

Bei diesem extrem starken Druckgefühl im Bauch, viel stärker als beim Mal davor (wo ich 21 Eizellen produziert hatte), nahm ich an, dass es dieses Mal noch mehr ergeben musste. Obwohl es im Ultraschall nach gar nicht so vielen ausgesehen hatte, aber beim ersten Mal waren auch mehr rausgekommen, als es bei der Untersuchung den Anschein gemacht hatte. Ich war tief traurig als ich nach dem gut verlaufenen Eingriff erfuhr, dass ich es nur auf 8 Eizellen gebracht hatte. Wenn bei 21 schon nur ein einziges Kind rausgekommen war, welche Chance bestand denn dann überhaupt bei 8? Aber am Ende würde ja eine einzige reichen, wenn sie denn die Richtige wäre. Ich ging von einer Befruchtungsquote von 50% aus, weil es beim letzten Mal so war. Insgeheim hoffte ich aber, dass wir vielleicht sogar 5 oder 6 Befruchtungen haben würden. Das Blöde an Hoffnungen ist, dass sie enttäuscht werden können. Und das wurden sie: Es hatten sich nur 3 Stück befruchten lassen. 

Was ich schon gar nicht mehr gedacht hätte: Alle 3 überlebten bis zum Transfertag. Allerdings war keine davon wirklich gut entwickelt und man bot mir sogar an, alle 3 einzusetzen, weil die Chancen so gering waren. Das traute ich mich allerdings trotzdem nicht, und so wurden mir die zwei etwas besseren eingesetzt. Aber für mich war klar, dass das nicht klappen würde. Die ganze Wartezeit über, gelang es mir relativ gut, mich abzulenken und das Thema zu verdrängen, weil ich mir keine großen Hoffnungen machte. Erst kurz vorm Schwangerschaftstest überkam mich ein sehr positives Gefühl, dass es doch geklappt hatte. Ich malte mir aus, wie schön es wäre meiner Familie unterm Weihnachtsbaum von der Schwangerschaft zu berichten. Aber selbstverständlich zerschmetterte der negative Test diese schöne Fantasie in tausend kleine Scherben. Ich war am Anfang ziemlich gefasst und musste zuerst nicht einmal weinen. Mich überkam eine Art Trotz, der vermutlich eine Selbstschutz vor der bodenlosen Traurigkeit war. Ich entschied, dass Schluss mit dem Thema sei und weihte auch alle Freunde und Familienmitglieder ein, dass ich es kein weiteres Mal versuchen werde, weil ich es nicht ertragen könnte, erneut zu scheitern. Und wenn die kleine Kinderseele, von der ich dachte, sie warte da draußen irgendwo auf uns, auch der dritten Einladung nicht gefolgt war, dann hatte sie eben Pech gehabt. So! Ich selbst glaubte das nur zu etwa 30%. Der weitaus größere Teil von mir wusste, dass ich eine Auszeit brauchte und es dann eines Tages wieder probieren würde. Aber in dieser Zeit war ich wirklich am Ende mit meinen Kräften. Körperlich ausgezehrt von den Hormonen und psychisch gebeutelt von der dritten Niederlage. 

Für mich war es nämlich die dritte Niederlage in Folge. Jeder Kryo-Versuch hatte mich schon Nerven und Energie gekostet und meine Hoffnung strapaziert. Deshalb tat es mir ganz schön weh, als meine Schwester, die in der Zwischenzeit selber eine Tochter bekommen hatte, andeutete, dass dies ja eigentlich der erste "richtige" Versuch gewesen war, und die beiden vorher für sie gar nicht wirklich mitzählten. Ich glaube, sie meinte das positiv, so nach dem Motto "Komm schon, ein Fehlschlag ist doch noch gar nicht so schlimm! Du hast ja noch zwei Versuch vor dir!" Aber bei mir kam es eher so an, als spiele sie meine Leidensgeschichte runter. Ich habe schon mal erwähnt, dass meine Schwester der Mensch ist, der mir am nächsten steht. Und dass gerade sie immer wieder Dinge gesagt hat, die bei mir völlig falsch angekommen sind, zeigt sehr deutlich, wie sehr einen dieses Kinderwunschthema beeinflusst. Ich war viel empfindlicher als normal, wie schneller beleidigt und bekam Dinge viel leichter in den falschen Hals. Gleichzeitig hätte ich aber ganz besonders viel Verständnis und Zuspruch nötig gehabt, was kompliziert ist, wenn man Trost-Versuche als Angriff interpretiert... 

Jedenfalls wusste meine Schwester, die mich besser kennt als jeder andere, von Anfang an, dass diese Reise für mich noch nicht zu Ende war. Und wie sie weiterging, steht im nächsten Blogeintrag.

 

Fortsetzung folgt...

Kommentar schreiben

Kommentare: 0