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Meine Sillgeschichte

Da war er also: mein kleiner Sohn, mein lang ersehntes Kind. Natürlich hatte ich ihn von Anfang an lieb und hätte alles für ihn getan, aber dieser Funkenflug und diese unmenschliche Glückseligkeit blieb aus. Vielleicht hassen mich einige dafür: Gleich bei der ersten ICSI schwanger geworden, unkomplizierte Schwangerschaft, spontane Geburt und trotzdem war ich nicht glücklich. Wie undankbar ist das denn? Genau das habe ich mich selber auch gefragt und hatte unfassbare Schuldgefühle, weil ich mich nicht über mein Baby freuen konnte. 

Vielleicht war der Start einfach etwas unglücklich, weil ich mich in dem Krankenhaus wirklich schlecht aufgehoben gefühlt habe. Kurz nach der Geburt, nachdem mein Mann und meine Mutter unfreundlich rausgeschmissen worden waren, weil die Besuchszeit vorbei war, wurde ich ziemlich lange mit meinem Sohn alleine im Kreißsaal gelassen. Ich hatte heftige Kreislaufprobleme, konnte mich nicht bewegen, weil mein rechtes Bein durch die schlecht gelegte PDA gelähmt war, und habe mich vollkommen überfordert gefühlt. Aber es war gerade Schichtwechsel bei den Hebammen und niemand hatte Zeit für mich. Als dann die grobe Hebamme endlich in ihren Feierabend verschwunden war, kam eine sehr viel nettere und herzlichere Hebamme zu mir, um mich zurück in mein Zimmer zu bringen. Zunächst versuchte sie das mit einem Rollstuhl, aber schon beim aufrechten Sitzen wurde mir schwarz vor Augen und ich hörte ihre Stimme nur noch wie unter Wasser. Mein Sohn wurde weggebracht, um angezogen zu werden, und ich war, ehrlich gesagt, sehr froh darüber. Die nette Hebamme holte dann mein Bett und brachte mich damit zurück auf mein Zimmer. Kurze Zeit danach brachte eine Schwester mir mein Baby und wir konnten schlafen.

Die erste Nacht war ganz gut. Ich hatte allerdings kein einziges Mal gestillt, weil wir beide so müde waren, dass wir einfach nur geschlafen hatten. Außerdem klappte das Stillen auch überhaupt nicht. Weil bei mir ja ein Schwangerschaftsdiabetes diagnostiziert worden war, wurde mein Kind ständig gepiekst, um den Blutzucker zu messen. Weil das Anlegen nicht gelingen wollte, waren die Werte entsprechend schlecht. (Der unfreundliche Kinderarzt machte mir später bei der U2 sogar Vorwürfe, dass ich schuld daran sei, weil ich mich in der Schwangerschaft schlecht ernährt hätte.) Das Stillen war sowieso ein Drama: Ich bekam es einfach nicht hin. Ich konnte machen, was ich wollte, mein Sohn wollte bei mir nicht trinken. Jedes Mal, wenn eine Schwester dabeistand, klappte es plötzlich. Also klingelte ich zunächst jedes Mal, wenn ich Stillen wollte, um Hilfe zu bekommen. Bis sich die Schwestern sehr genervt zeigten, dass ich ständig rief. Ich sollte es einfach öfter selber versuchen. Das tat ich dann auch, was aber überhaupt nicht funktionierte. Daraufhin wurde ich dann gefragt, wieso ich denn dann nicht geklingelt hätte? Ich habe mich so unwohl und schlecht betreut gefühlt, dass ich mich irgendwann gar nicht mehr getraut habe, zu klingeln. Wie ich es auch gemacht habe, war es falsch. Ich wollte einfach nur nach Hause, weil es so schlimm für mich war. Weil mein Sohn aber immer weiter abgenommen hatte, sagte man mir, ich dürfte so nicht nach Hause. Da ich ohnehin schon Pre-Milch zufüttern musste (ganz umständlich mit einer Spritze, um keine Saugverwirrung zu riskieren), bettelte ich irgendwann die Schwester an, ob ich nicht einfach auf die Flasche umsteigen dürfte. Das hätte ja sehr schnell die Gewichts- und Blutzuckerprobleme in den Griff bekommen. Aber davon wollte man überhaupt nichts hören. Diese Option hat man mir tatsächlich verweigert. Stattdessen kam eine zwar sehr nette, aber kompromisslose Stillberaterin zu mir, die mir die Milchpumpe erklärte und auch sonst hilfreiche Tipps gab.  Ich hätte nur gerne, einfach zur Beruhigung, die Bestätigung von ihr gehabt, dass ich ja zur Not immer noch abstillen und auf das Fläschchen umsteigen könnte. Das hätte mir so viel Druck von den Schultern genommen! Aber dazu war sie nicht bereit. Für sie war Stillen das einzig Wahre und sie wollte nicht einmal in Erwägung ziehen, dass es auch anders ging. 

Schließlich durfte ich doch nach Hause, nachdem ich dem Kinderarzt versichert hatte, von einer Hebamme zu Hause betreut zu werden und dass ich meinem Sohn mit meinem Blutzuckermessgerät zu Hause auch weiterhin die Werte messen würde. Das war ein kleiner Lichtblick. Aber auch zu Hause ging es mir zunächst gar nicht besser. Ich hatte von einer Ärztin im Krankenhaus, die mich vor der Entlassung untersucht hatte, gehört, dass meine Leberwerte so schlecht gewesen seien und man das Kind sonst hätte holen müssen, wenn es nicht von allein gekommen wäre. Im Entlassungsbericht stand davon kein Wort. Man hatte mir auch in einem Nebensatz empfohlen, Eisen zu substituieren, allerdings hatte man mir im Krankenhaus keines zu Verfügung gestellt, sodass ich kaum stehen konnte und das Windeln wechseln am Wickeltisch für mich eine riesen Herausforderung war. Meine Nachsorgehebamme bekam das aber schnell in den Griff und empfahl mir Kräuterblut zu nehmen. 

Das Stillen war jedoch immer noch eine Katastrophe. Mein Sohn nahm nicht genug zu. Er nuckelte stundenlang an der Brust, aber trank überhaupt nicht effektiv. Ich war richtig am Ende mit meinen Nerven und habe die ersten zwei Wochen nur geweint und geweint. Ich sehnte mich so sehr danach, abzustillen, aber ich wusste nicht wie. Ich hatte auf die Unterstützung meiner Hebamme gehofft, aber leider zeigte die sich bei diesem Thema ziemlich stur. Jedes Mal, wenn ich versuchte, es anzusprechen, hielt sie mir einen Vortrag über die Vorteile des Stillens. Dass ich doch einige Allergien hätte und es deshalb besser wäre weiterzuspielen, mindestens sechs Monate lang und so weiter. Und obwohl mein Sohn schlecht zunahm und meine Hebamme immer so etwas sagte wie "Bis zum nächsten Wiegen muss er abendlich zugenommen haben", musste ich weiterstillen. Ich wusste zunächst nie was denn passieren würde, wenn er es nicht geschafft haben würde. Dem unheilvollen Unterton in der Stimme der Hebamme nach, befürchtete ich, dass er dann ins Krankenhaus muss. Aber als ich sie fragte, sagte sie "Dann müssen wir zufüttern". Das war für sie also offenbar der Super-GAU: PreMilch. Wenn wir darauf zurückgreifen müssen, hatten wir versagt. Also quälte ich mich weiter. Bei der Abschlussuntersuchung sagte auch meine Frauenärztin, dass ich die ersten drei Monate nur irgendwie durchhalten muss, und dann klappt es wie geschmiert. Auch mein Mann hielt nichts von Flaschennahrung. Die Kommentare meiner Mutter und meiner Schwiegermutter á la "Also bei uns ging das damals ohne Probleme. Ihr habt euch die Brust geschnappt und dann lief das" halfen mir auch nicht gerade weiter. Ich fühlte mich sehr allein gelassen mit dem Thema und stillte deshalb weiter. Jedes einzelne Mal war unangenehm. Irgendwann aber zumindest nicht mehr physisch schmerzhaft. Wie meine Gynäkologin gesagt hatte, wurde es nach drei Monaten etwas besser. Ich stillte noch immer ungern, aber es klappte mittlerweile wenigstens. Doch dieser Zustand, mit dem ich irgendwie leben konnte, hielt nur ein paar Wochen. Dann war es auf einmal wieder so wie am Anfang: Das Anlegen klappte nicht, mein Kleiner bekam die Brustwarze nicht richtig zu packen, er biss mich ständig und es war wieder ein Alptraum. Aber noch immer hielt mich irgendetwas davon ab, abzustillen: Der Druck von außen (Hebamme, Frauenärztin, mein Ehemann - alle schienen es vehement abzulehnen, die Flasche zu geben); dann war mein Sohn krank und ich wollte weiterstillen, bis er wieder gesund war; dann war ein Urlaub geplant, und ich dachte, es ist praktischer, im Urlaub noch zu stillen. Und so kam immer wieder irgendein Event oder Anlass, um mit dem Abstillen zu warten. Doch dann kam Weihnachten 2018: Mein Sohn war 10 1/2 Monate alt und die Beikost klappte schon ganz wunderbar. Und endlich traf ich die Entscheidung, dass es genug war. Morgens legte ich ihn ein allerletztes Mal an, und abends trank ich eine Rum-Cola, um meinen Entschluss zu bestätigen. Ab dann bekam er morgens nach dem Aufwachen und abends vor dem Einschlafen noch ein Fläschchen PreMilch und war damit super zufrieden. Und ich war endlos erleichtert! Es war, als ob eine tonnenschwere Last von meinen Schultern gefallen war. Und erst jetzt, nach dieser langen Zeit, war das Verhältnis zu meinem süßen kleinen Sohn unbeschwert und ich konnte ihn mit ganz anderen Augen betrachten. Jetzt hatte ich endlich die bedingungslos-liebevolle Mama-Sohn-Bindung, die ich schon bei der Geburt vermisst hatte. Das Stillen-Müssen hatte mich so belastet, dass es tatsächlich unterschwellig meine Gefühle für mein Kind eingeschränkt hatte, was ich ganz furchtbar finde.

Ich bin definitiv keine Still-Gegnerin! Und wenn es super klappt, spricht auch meiner Meinung nach überhaupt nichts dagegen, lange zu stillen. Ich würde es bei einem zweiten Kind auch wieder versuchen und wer weiß? Vielleicht klappt es dann ja auch automatisch besser? Aber ich würde mich auf gar keinen Fall noch einmal so quälen. Ich würde für mich einstehen und auf das hören, was für mich und mein Kind das Richtige ist. Und wenn es noch mal so eine Qual wird, werde ich viel früher abstillen. Die Zeit, die mir verloren gegangen ist, weil ich beim Stillen gelitten habe, wird mir niemand zurückgeben können und meinem Sohn auch nicht. Er hat auf Biegen und Brechen Muttermilch bekommen, hatte dafür aber die ersten 10 1/2 Monate seines Lebens eine belastete Bindung zu seiner Mama. Auch bei ihm konnte ich nach dem Abstillen erkennen, dass er aufgeblüht ist und viel glücklicher wurde. Es tut mir von Herzen Leid, dass ich nicht früher für uns beide eingestanden bin. Aber ich habe daraus gelernt und das wird mir kein zweites Mal passieren.

Jede Frau muss und darf selbst entscheiden, ob sie stillen will oder nicht. Nur sie weiß, was das Beste für sie und ihr Baby ist. Und selbst, wenn sie es nicht einmal versucht zu stillen, und das von Anfang an ausschließt, ist das absolut in Ordnung! In Anbetracht der guten alternativen Säuglingsnahrung, die wir heutzutage nun einmal haben, ist es für das Kind wesentlich besser, eine gesunde und zufriedene Mama zu haben, als unter einer belasteten Beziehung zu leiden.

 

Dies ist mein letzter Eintrag der Reise 1. Mein Wunschkind ist da und endlich kann ich es auch bedingungslos und uneingeschränkt lieben. Mir ist bewusst, dass meine "Probleme", sei es die herzlose Behandlung in der Kinderwunschklinik,  der Schwangerschaftsdiabetes oder die Stillprobleme ein Jammern auf hohem Niveau sind, wenn man bedenkt dass ich das große Glück hatte, bei der ersten ICSI ein gesundes Kind zu bekommen. Dennoch waren diese Erlebnisse prägend für mich, weshalb ich sie auf diese Weise teilen wollte. Ich kann auch schon vorwegnehmen, dass es keinesfalls so "leicht" für mich weiterging. Aber dazu mehr bei Reise 2. 

 

Vielen Dank fürs Lesen!

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