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Die zweite ICSI

"Dann gehe ich eben wieder arbeiten. Ist dann halt so", dachte ich mir, nachdem ein wenig Zeit vergangen war. Im Dezember 2019 war es mir sehr schlecht gegangen. Ich war überwältigt von Traurigkeit, Enttäuschung und Erschöpfung. Dass mein Mann auch gerade (beruflich) eine schwierige Phase durchmachte, belastete mich und unsere Partnerschaft zusätzlich. Ich habe so unter allem gelitten, dass ich mich heulend im Sprechzimmer meiner Hausärztin wiedergefunden habe, die bei mir eine Gürtelrose diagnostizierte. Sie konnte das erst gar nicht glauben, weil ich dafür eigentlich etwas jung war, aber in Anbetracht meiner Geschichte schien es plausibel. Mein ganzes System war so angeschlagen, dass ich mir eine Krankheit eingefangen hatte, die tendenziell eher Senioren befällt. Das bekam die Ärztin sehr schnell in den Griff. Was ihr viel mehr Sorgen machte, war meine Psyche. Sie befürchtete eine beginnende Depression bei mir zu erkennen und überwies mich zum Neurologen (wo ich allerdings keinen Termin bekam, weil die Warteliste schon zu lang war). Außerdem beantragte sie mit mir eine Mutter-Kind-Kur, damit ich mich etwas erholen können würde. (Die Bewilligung kam auch sehr schnell, nur leider kam kurz darauf Corona, weshalb diese Kur bis heute nicht stattfinden konnte.) Ich sah ein, dass ich mir selbst etwas Gutes tun musste und konzentrierte mich auf mich selbst. Ich begann Nahrungsergänzungsmittel zu nehmen, weil ich recherchiert hatte, dass viele davon der Fortpflanzungsfähigkeit zuträglich sind: Allen voran Zink und Selen, aber auch Omega3, Vitamin D und Eisen. Später ergänzte ich auch noch Vitamin C und E, sowie Magnesium. Alles im engeren oder weiteren Sinne bei der Reproduktion beteiligt. Außerdem stellte ich meine Ernährung um und begann das Intervallfasten. Ich gewöhnte mir auch regelmäßigen Sport an. Ich nahm etwa 10 Kilo ab, was auch immer ganz förderlich für den Kinderwunsch ist. Und mit der Aussicht auf die Kur ging es mir nach einigen Wochen schon viel besser. Ich hatte Ende Januar tatsächlich meine Refresher-Schulung beendet und haben den ganzen Februar und März in Vollzeit gearbeitet. Was habe ich das genossen! Heute ist es mir unbegreiflich, dass ich die Babypause hatte ausdehnen wollen, denn es war einfach herrlich die alten Kollegen wieder zu treffen und endlich auch etwas anderes Sinnvolles zu tun, als mein Kind zu versorgen. Ich hatte zur der Zeit viele Hotelübernachtungen im Dienstplan und ich genoss es wirklich, nach Feierabend einfach fernzusehen und die Nächte in Ruhe durchzuschlafen. Es waren wunderschöne zwei Monate, bevor Corona den kompletten Flugbetrieb lahmlegte. Ich wusste bei meinem letzten Flugeinsatz, den ich mit FFP3-Maske und Handschuhen durchführte, noch nicht, dass es mein allerletzter Flug überhaupt sein würde, sonst hätte ich ihn sicher ganz anders geehrt. Ich weiß noch genau, dass er von Köln/Bonn nachThessaloniki und wieder zurück ging und ein Spätdienst war. 

Trotz der großen Freude an meiner Arbeit hatte ich mein Ziel nicht aus den Augen verloren. Ich hatte geplant im April wieder in die Kinderwunschklinik zu gehen, was dann aber auch wegen Corona nicht passierte. (Dieses Corona-Virus machte mir einen Strich nach dem anderen durch die Rechnung. Aber ich möchte nicht jammern, denn ich weiß, dass ich bei weitem nicht die Einzige bin, die dadurch ihren (Traum-)Job verloren hat. Außerdem bin ich, wie auch meine Familie, wenigstens gesund geblieben und das ist das Wichtigste.)

Nachdem ich also am 07. April 2020 erfuhr, dass meine geliebte Germanwings (Mein Herz schlägt Brombeer!) für immer geschlossen werden würde, trauerte ich erstmal ein bisschen und beschloss dann, die ungewollte Freizeit in die nächste Kinderwunschbehandlung zu investieren. Nach dem ersten Lock-Down durfte die Klinik im Mai nämlich wieder ihren Betrieb aufnehmen und ich wusste einfach, dass es diesmal klappen würde. Ich wusste es. Ich konnte es ganz genau spüren. Ich war wieder richtig fit und super optimistisch. Mit diesem positiven Mindset ging ich in die Stimulation. Ich steckte die Nebenwirkungen diesmal wieder deutlich besser weg, weil mein Körper fitter war. Außerdem meditierte ich täglich, um mich und meinen Körper noch besser auf die bevorstehende Einnistung einzustellen. Und tatsächlich produzierte ich 17 Eizellen! Zwar keine 21, aber doch ganz gut, oder? Ja, diesmal würde es gelingen. Leider ließen sich nur 5 davon befruchten, was ja eine ganz schön schlechte Quote ist (noch weniger als 30%). Na ja, fünf Befruchtungen ließen darauf hoffen, dass es am Transfertag etwas Gutes einzusetzen gab, wenn auch nichts zum Einfrieren übrig sein würde. Und so war es auch: zwei Embryonen von allerbester Qualität wurden mir transferiert. Ja, diesmal war der Erfolg zum Greifen nah! 

Wir hatten die ganze Prozedur geheim gehalten, weil wir auch einmal unsere Freunde und Verwandten mit einer frohen Botschaft überraschen wollten, so wie jedes andere Paar, das natürlich schwanger wird, es machen darf. Ich hatte schon genau geplant, wie ich es machen würde: Und zwar am Geburtstag meiner Mutter, den ich in diesem Jahr für sie ausrichtete. 

In den Tagen der Warteschleife sagte ich mir immer und immer wieder mein Mantra: "Es gibt keinen Grund, warum es diesmal nicht klappen sollte." Und dann kam der Tag des ersten Urintests zu Hause. Jawohl. Ich hatte Recht, ich war schwanger. Ich war tatsächlich schwanger! Der Bluttest in der Klinik bestätigte das kurze Zeit später. "Schwanger!", meldete sich die Ärztin, als ich ihren Anruf mit den Ergebnissen entgegen nahm, "Einen sehr schönen HCG-Wert haben Sie da, Frau Gottschlich." Mein Leben war perfekt. Dafür hatte sich der ganze Leidensweg gelohnt. Das war es wert gewesen. Endlich durfte ich in mein persönliches Paradies eintauchen. Wie unglaublich schön. Was für ein riesengroßes Glück! Es war einfach schlicht und ergreifend alles perfekt.

 

Die enttäuschende Fortsetzung folgt...

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